Resolution Arbeitsmarktintegration braucht Verlässlichkeit – Massive Kürzungen im Bundeshaushalt verhindern

Gemeinsamer Antrag zur Sitzung des Ausschusses für Soziales, Familie und Gesundheit, 15.8.23, Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Nachhaltigkeit, 17.8.23, Integrationsausschuss, 31.8.23 und Rat, 5.9.23

VO/0774/23

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr Ramette,
sehr geehrter Herr Kineke,
die Fraktionen von SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und DIE LINKE beantragen, der
Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit, der Hauptausschuss und der Rat der Stadt
Wuppertal mögen folgende Resolution beschließen:

1. Der Rat der Stadt Wuppertal spricht sich gegen eine Kürzung des Eingliederungstitels im
SGB II um 500 Millionen Euro aus, wie in der Entwurfsfassung des Bundeshaushaltes
angedacht ist.
Eine solch massive Kürzung des Eingliederungstitels gefährdet eine Vielzahl von
jahrelang erfolgreich durchgeführten Maßnahmen, die in Wuppertal dazu geführt haben,
Menschen mit zuweilen multiplen Vermittlungshemmnissen wieder in den Arbeitsmarkt
zurück führen zu können oder ihnen zumindest gute Wege dorthin bereitet haben.

2. Der Rat der Stadt Wuppertal unterstützt deswegen vollumfänglich die von den
diakonischen Trägern in Wuppertal verfasste Resolution „Wuppertal schlägt Alarm“.

3. Der Rat der Stadt Wuppertal appelliert an die Wuppertaler Bundestagsabgeordneten, der
Kürzung des Eingliederungstitels und der Verlagerung der individuellen Begleitung der
U25-Leistungsbezieher*innen vom Jobcenter hin zur Bundesagentur für Arbeit nicht
zuzustimmen.

4. Der Rat der Stadt Wuppertal teilt die Auffassung, dass die Arbeitsmarktintegration von
jungen Menschen oberste Priorität hat und die gelebte engmaschige Kooperation der
Wuppertaler Maßnahmenträger mit dem Jobcenter Wuppertal durch die geplanten
Änderungen konterkariert würde.

Resolution gegen die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt für das SGB II
(Stand: 11. Juli 2023)

Wuppertal schlägt Alarm! Mit den aktuell geplanten massiven Einsparungen im SGB II
droht ein dramatischer Abbau von Qualifizierungs- und Beschäftigungsplätzen für
Langzeitarbeitslose und für die Gruppe der jungen Menschen unter 25 Jahren!
Ein breites Wuppertaler Bündnis fordert die NRW Bundestags- und Landtagsabgeordneten
sowie die arbeitsmarktpolitischen Partner auf, sich in den Beratungen zum Bundeshaushalt
gegen die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt für das SGB II einzusetzen.
Aktuell geplante Kürzungen im Bundeshaushalt für SGB II gefährden den sozialen
Arbeitsmarkt, verschärfen Armut und erhöhen Jugendarbeitslosigkeit!
Am 29.06.2023 informierte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Bezug auf die
Ressortabstimmung zum Bundeshaushalt 2024, dass der Eingliederungstitel im SGB II
zunächst um 500 Mio. Euro gekürzt werden soll. Ab dem Jahr 2025 soll zudem die
Zuständigkeit für die Arbeitsförderung von SGB II-Empfänger*innen unter 25 Jahren weg von
den Jobcentern hin zu den Agenturen für Arbeit nach dem SGB III übertragen werden, um
das SGB II-Budget um weitere 900 Mio. € zu entlasten. In Wuppertal wären von einer
solchen Regelung nach derzeitigem Stand über 6.550 junge Menschen im Alter von 15 bis
24 Jahren betroffen.
Die geplanten Kürzungen des Budgets ignorieren massiv den aktuellen Wandel der
finanziellen Rahmenbedingungen: stetig wachsende Personal- und Verwaltungskosten im
Zuge der Tariferhöhungen, zunehmende Digitalisierungsbedarfe, Inflation und allgemeine
Teuerung. Zusätzlich konterkarieren sie mit der Übertragung der Zuständigkeit des
Personenkreises U25 die fachlich angezeigte und jahrelang etablierte, ganzheitliche
Betreuung von Bedarfsgemeinschaften und Familien sowie die damit einhergehenden
bedarfsgerecht entwickelten Instrumente, insbesondere für schwer zu erreichende und
besonders von Armut gefährdete junge Erwachsene.
Ausgangslage – was in Wuppertal geschaffen wurde
Im Wuppertaler Modell wurde seit 2005 ein qualitativ hochwertiges, für unterschiedliche
Bedarfe ausdifferenziertes Qualifizierungs- und Beschäftigungsangebot geschaffen, sodass
allen langzeitarbeitslosen Wuppertaler*innen eine bedarfsorientierte Perspektive unterbreitet
werden kann. Spezielle Angebote für Erziehende inklusive Kinderbetreuung, für
Migrant*innen oder Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen zeichnen diese
Angebote aus. Ebenso gehören psychosoziale Beratungs- und Unterstützungsleistungen
sowie hochwertige Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote zum umfassenden Repertoire
an Maßnahmen.
Die vom Bund für die Eingliederung zur Verfügung gestellten Finanzmittel
(Eingliederungstitel EGT) wurden in der Vergangenheit zu nahezu 100% eingesetzt, d.h.
konkret: Die Mittel werden für die betroffenen Menschen eingesetzt und kommen ihnen
zugute!
Eben diese Angebotsstruktur stabilisiert nicht nur die individuelle Perspektive und Teilhabe,
sondern auch die soziale Infrastruktur in Wuppertal, trägt zum gesellschaftlichen Leben bei
und macht die Stadt lebenswert: Neben der Förderung und Qualifizierung von Fachkräften
liegen u.a. Ausbau und Pflege der Nordbahntrasse, Renovierung und Umbau des Stadion
am Zoo Wuppertal sowie die in der Wuppertaler Kreislaufwirtschaft angesiedelten
Recyclingprojekte im öffentlichen Interesse und zeigen nur einen Ausschnitt der
Tätigkeitsbereiche.
Das Jobcenter leistet einen wesentlichen Beitrag gegen Jugendarbeitslosigkeit und
für die Fachkräftesicherung!
Teil des Wuppertaler Modells ist es, einen ganzheitlichen Blick auf Berufs- und
Lebensperspektiven junger Menschen zu haben und diese nicht auf deren Verwertbarkeit auf
dem Arbeitsmarkt zu reduzieren.
Die Beratung und Betreuung von Jugendlichen in oft schwierigen Lebenslagen hat sich zu
einer Kernkompetenz des Jobcenters entwickelt. 150 Integrationsfachkräfte, über 40
Jobcoaches und das Team der Ausbildungsvermittlung lösen das Versprechen ein, jedem
ausbildungs- und arbeitswilligen jungen Menschen ein konkretes Angebot zu machen.
Allein in diesem Jahr investiert das Jobcenter Wuppertal über 11 Mio. Euro in die berufliche
und persönliche Förderung junger Menschen. Zusammen mit einer leistungsstarken
Trägerlandschaft ist ein differenziertes Angebot mit rund 1.800 Maßnahmeplätzen
entstanden, das von Berufsorientierung, persönlicher Stabilisierung, Sprachförderung bis hin
zu ausbildungsbegleitenden Hilfen und Ausbildungsplätzen reicht. Alle U25-Maßnahmen von
Jobcenter und Trägern sind eng abgestimmt mit den wichtigen Akteuren vor Ort, wie den
Schulen, der Berufsberatung der Arbeitsagentur, der Stadt Wuppertal oder den Kammern.
Durch die Zusammenarbeit im Netzwerk, durch die Verankerung in den Quartieren, vor allem
aber im engen Kontakt mit den jungen Menschen ist vor Ort ein reicher Schatz an
Strukturen, Wissen und Vertrauen aufgebaut worden, der nun massiv bedroht wird. Damit
wäre auch eine langjährige Erfolgsgeschichte zu Ende: seit 2012 wurden in Wuppertal über
6.300 Menschen unter 25 in Ausbildung und rund 10.000 in sozialversicherungspflichtige
Arbeit vermittelt.
Die Idee der Bürgergeldreform wird konterkariert
Die Bürgergeldreform hat viele Dinge gesetzlich verankert, die in Wuppertal oftmals schon
gelebte Praxis gewesen sind. Die Beratung auf Augenhöhe, der Blick auf die gesamte
Familie oder die aufsuchende Arbeit in den Quartieren sollten dadurch, so zumindest die
Idee der Reform, auf eine verlässliche Basis gestellt werden.
Mit der möglichen Übertragung des U25-Bereichs auf die Arbeitsagenturen würde der
ganzheitliche Ansatz der Bürgergeldreform konterkariert. Es steht zu befürchten, dass
gerade schwächere junge Menschen und junge Neuzugewanderte mit erhöhtem
Unterstützungsbedarf die Leidtragenden einer solchen Entscheidung sind.
Weniger Geld für mehr Aufgaben bei extrem ansteigenden Kosten: Ein massiver
Abbau der Angebotsstruktur wäre unausweichlich!
Der Bedarf an Förderung ist ungebrochen hoch: In Wuppertal ist die Zahl der Menschen im
Langzeitleistungsbezug mit 21.800 Personen und im verfestigten Langzeitleistungsbezug
(mindestens 4 Jahre) mit über 16.000 Personen enorm. Die Arbeitslosenquote beträgt 9,6%
(Stand Juni 2023) und die Unterbeschäftigtenquote 14,5%. Damit belegt Wuppertal im
bundesweiten Vergleich einen Spitzenplatz. Der Eingliederungstitel wurde dennoch in
demselben Zeitraum von 48,8 Mio. Euro um 3,3 Mio. Euro auf 45,5 Mio. Euro gesenkt.
Die Tarifsteigerungen erhöhen die Personalkosten sowohl des Jobcenters Wuppertal AöR (in
2023 beläuft sich der Betrag auf etwa 3,5 Mio. Euro) als auch der Träger dramatisch.
Konsistente politische Entscheidungen müssen tarifliche Personalkostensteigerungen sowie
inflationsbedingte Kostensteigerungen zeitnah refinanzieren. Das Budget des Kostenträgers
muss so ausgestattet sein, dass dies möglich ist und eine Zukunftsperspektive geschaffen
wird.
Zum 01.06.2022 wurden die ukrainischen Geflüchteten in der Betreuung den Jobcentern
übertragen. Für Wuppertal sind dies ca. 2.600 Bedarfsgemeinschaften mit fast 5.000
Menschen. Damit sind in Wuppertal überdurchschnittlich viele Menschen dieser
Personengruppe untergebracht, die über diverse Beratungs- und Unterstützungsbedarfe
verfügen. Zur adäquaten Betreuung und Integration wurden jedoch keine weiteren
Ressourcen zur Verfügung gestellt.
Um auch in Zukunft professionelle und zuverlässige Arbeit für und mit Menschen anbieten zu
können, ist eine auskömmliche Finanzierung und bedarfsgerechte Ausstattung mit
qualifiziertem Fachpersonal notwendig. Die Berücksichtigung der Tariferhöhungen im
öffentlichen Dienst, der Wohlfahrtspflege und freier Träger ist zwingend erforderlich. 4
Die Überlegungen zu entsprechenden Kürzungen im Bundesaushalt für das SGB II
sind demnach mit aller Deutlichkeit abzulehnen. Wir fordern Sie auf, sich in den
Beratungen zum Bundeshaushalt 2024 für eine Erhöhung der Haushaltstitel
‚Leistungen zur Eingliederung in Arbeit‘ und ‚Verwaltungskosten zur Durchführung
der Grundsicherung für Arbeitssuchende‘ einzusetzen und den Planungen, die
Zuständigkeit für die Arbeitsförderung von SGB II-Empfänger*innen unter 25 Jahren,
entschieden entgegen zu treten!

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Jürgen Reese,Fraktionsvorsitzender SPD

Caroline Lünenschloss, Ludger Kineke, Fraktionsvorsitzende CDU

Paul Yves Ramette, Fraktionsvorsitzender, Marcel Gabriel-Simon Stadtverordneter BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Susanne Herhaus, Gerd-Peter Zielezinski, Fraktionsvorsitzende DIE LINKE

Karin van der Most,
René Schunck,
Fraktionsvorsitzende FDP


 

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