Anfrage Kosten der Unterkunft II.

Anfrage zur Ratssitzung, 9. Juli 2018

VO/0543/18

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

in unserer Anfrage VO/0355/18 zu den Kosten der Unterkunft erhielten wir eine nichtsagende und wahrheitswidrige Antwort. Behörden unterliegen der Wahrheitspflicht, siehe hierzu:  http://www.mi.niedersachsen.de/aktuelles/presse_informationen/beantwortung-der-muendl-anfrage-der-cdu-zur-wahrheitspflicht-bei-behoerden-und-kommunen--133686.html

Anders als von der Verwaltung in der Antwort zu unserer Anfrage behauptet liegen die angefragten Daten zu den Verfahren auf

https://fragdenstaat.de/anfrage/urteile-zum-thema-schlussiges-konzept-bei-den-kosten-der-unterkunft-in-wuppertal-1/

und wurden vom Jobcenter Wuppertal bereits am 27. Oktober 2017 in Teilen beantwortet.

Auch zu den vom Jobcenter nicht übernommenen Kosten der Unterkunft, gibt es anders als uns geantwortet, durchaus Daten bei der Arbeitsagentur: https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Rubrikensuche/Rubrikensuche_Suchergebnis_Form.html?nn=1021940&year_month=201802&pageLocale=de&view=processForm&topicId=1023396&regionInd=05124

Diese Daten werden vom Jobcenter Wuppertal eingespeist und liegen somit selbstverständlich der Verwaltung vor. Anderes zu behaupten ist ein Bruch der Wahrheitspflicht.

Wir bitten erneut um Beantwortung unserer Anfrage:

 

Die Jobcenter sind verpflichtet, die angemessenen Unterkunftskosten im SGB II durch »bereite Quellen« zu ermitteln. Bereite Quellen können sog. „schlüssige Konzepte“ sein, aber auch qualifizierte, wie fortgeschrieben Mietspiegel (BSG v. 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R). Diese bereiten Quellen müssen die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden, dass im Falle des Ausfalls bereiter Quellen zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenze von Kosten der Unterkunft auf die tatsächliche Miete abzustellen ist. Begrenzt wird dieser Wert dann durch den Oberwert der Wohngeldtabelle (§ 12 WoGG) zuzüglich 10% Sicherungsaufschlag (BSG v. 17.02.2009 - B 4 AS 50/9 R, BSG v. 20.08.2009 - B 14 AS 65/08 R, BSG v. 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R).

In der Stadt Wuppertal existierte für die Jahre 2010 bis 2011 eine solche „Bereite Quelle“ durch den einen qualifizierten Mietspreisspiegel, dieser wurde für das Jahr 2012 als unqualifizierter Mietspreisspiegel fortgeschrieben. Seit Januar 2013 existierte keine bereite Quelle zur Ermittlung der Mietpreise mehr, da es seitdem keinerlei offizielle Erhebungen zu Mietpreisen gegeben hat.
Diese Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts ist vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 10. Oktober 2017 - 1 BvR 617/14bestätigt worden. 

Diese vom Bundessozialgericht immer wieder klargestellte Rechtslage wurde von der Wuppertaler Verwaltung von Januar 2013 bis März 2017 ignoriert, bis zu diesem Zeitpunkt im März 2017, weil es ab April 2017 in Wuppertal wieder einen neuen Mietspiegel gibt und somit eine „bereite Quelle“ im Sinne der Bundessozialgerichts- und Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung.

Von der Wuppertaler Sozialverwaltung wurden somit über vier Jahre und drei Monate in rechtswidriger Weise die Werte für Unterkunftskosten, die letztendlich aus dem Jahr 2009 stammen, weiter angewendet. Dies hatte zur Folge, dass mehrere Millionen EURO an Wuppertaler Hartz IV-, Sozialhilfe- und Grundsicherungshaushalte nicht gezahlt wurden.
 
In dem Sinne hat das für Wuppertal zuständige Sozialgericht in einer Vielzahl von Urteilen entschieden. Gegen alle Urteile hat das Jobcenter/Sozialamt Berufung oder Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, so dass die Urteile nicht rechtskräftig wurden und die Verwaltung deswegen nicht daran gebunden ist.   

Um die Größenordnung der rechtswidrig nicht gezahlten Kosten der Unterkunft alleine im SGB II zu veranschaulichen:

Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit betrugen im September 2016 die tatsächlichen Unterkunftskosten 10.749.034 EUR, die vom Jobcenter berücksichtigen Unterkunftskosten aber nur 10.429.173 EUR, das macht eine Differenz von 319.861 EUR im Monat September 2016 aus.

Im September 2017 betrugen die tatsächlichen Unterkunftskosten 12.329.808 EUR, die vom Jobcenter berücksichtigen Unterkunftskosten aber nur 11.951.384 EUR, das macht eine Differenz von mittlerweile 378.424 EUR aus.
(Quelle: Statistiken der BA zu Unterkunftskosten: https://tinyurl.com/yap6ngsb)

Um diesen Vorgang nachträglich bewerten zu können, haben wir verschiedene Fragen an die Verwaltung.       

Zum Komplex nicht übernommener Unterkunftskosten für den Zeitraum Jan. 2013 – März 2017: 
 

    1. Wieviel Gelder für Unterkunftskosten sind seit Jan. 2013 bis März 2017 als Gesamtsumme nicht vom Jobcenter Wuppertal und Sozialamt übernommen worden?   
      - Bitte schlüsseln Sie die nicht gezahlten Gelder nach Jahren auf.
      - Bitte schlüsseln Sie in 20 EUR Schritten auf, bei wieviel Haushalten in welcher finanziellen Größenordnung die Mieten nicht übernommen worden.     
       
    2. In wieviel Gerichtsverfahren wurde das Jobcenter Wuppertal und das Sozialamt zur Zahlung höherer Mieten wegen unzulässig festgesetzter Mieten im Bereich des SGB  II und des SGB XII für den Zeitraum Jan. 2013 bis März 2017 verurteilt? Bei den Gerichtsverfahren benennen Sie bitte auch die Vergleiche, bei denen nach richterlichem Hinweis höhere Unterkunftskosten vom Jobcenter Wuppertal/Sozialamt Wuppertal der Zahlung  höherer Mieten zugestimmt wurden.
       
    3. Bitte benennen Sie die Urteile, Aktenzteichen und Aktenzeichen der Vergleichsverfahren und ob die Urteile rechtskräftig sind oder was ansonsten der jeweilige Verfahrensstand ist. 
       
    4. Sind zu der Problematik „angemessene“ Unterkunftskosten aus dem Zeitraum Jan. 2013 bis März 2017 Verfahren beim LSG oder BSG anhängig.
      Wenn ja, benennen Sie die Verfahren und teilen bitte mit, wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist.
       
    5. Bitte stellen Sie dar, von welchem Gremium in Wuppertal die Werte zur „Angemessenheit“ von Unterkunftskosten für Wuppertal zum Jahresbeginn 2010 festgelegt werden.
       
    6. Erklären Sie bitte, warum in Wuppertal die Angemessenheitswerte für Unterkunftskosten nicht durch demokratisch legitimierte Gremien wie Stadtrat oder Sozialausschuss beschlossen werden, wie das in anderen Sozialverwaltungen quer durch die Republik üblich ist?
       
    7. Was waren die Gründe, warum ab dem Jahr 2013, also nach Wegfall „bereiter Quellen“  in Wuppertal, die höchstrichterliche Rechtsprechung ignoriert wurde. Dies insbesondere, da gesetzlich geregelt ist,  dass die Angemessenheitskriterien „mindestens alle zwei Jahre zu überprüfen und ggf. neu festzusetzen sind“ (§ 22e Abs. 3 SGB II) und die damalige Datenquelle schon drei Jahre alt war.
       
    8. Warum hat die Wuppertaler Sozialverwaltung trotz eindeutiger Rechtslage und Rechtsprechung des Sozialgerichts Düsseldorf jeweils Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Urteile eingelegt?
        
    9. Wieviel den Umzug begleitende Kosten, wie Umzugs- und Renovierungskosten, Kautionen, Genossenschaftsanteile, wurden in Folge der Überschreitung der Miethöchstwerte von Jan. 2013 bis März 2017 geschätzt vom Jobcenter und Sozialamt nicht übernommen.
           
       

Zum Komplex, Festsetzung der Werte für Unterkunftskosten ab April 2017 bis Gegenwart:
 

  1. Benennen Sie die Beträge an Unterkunftskosten, die jeden Monat nicht übernommen werden. Schlüsseln Sie diese nach Monaten von April 2017 bis April 2018 auf sowie in die Rechtsgebiete SGB II/SGB XII.
  2. Geben Sie eine Erklärung dafür ab, warum nach Höhersetzung der Angemessenheitsgrenze (für eine Person von 336 EUR auf 376 EUR Bruttokaltmiete) die Werte der nichtübernommenen Unterkunftskosten steigen und nicht fallen.
  3. Bitte stellen Sie dar, von welchem Gremium in Wuppertal die Werte zur „Angemessenheit“ von Unterkunftskosten für Wuppertal bei der Werteänderung 2017 festgelegt werden.
  4. Wieviel Widersprüche und Klagen sind zu den neuen ab April 2017 geltenden Werten zu den Unterkunftskosten anhängig.
    Bitte nennen Sie bei den Klagen die Anzahl der Verfahren, die Aktenzeichen und den jeweiligen Verfahrensstand.

 

 

Zusatzfrage: Wir bitten um eine Position der Stadtverwaltung zu der Fragestellung, dass auch nach den neuen KdU – Werten ein Großteil der Sozialmieten nicht mehr als „angemessen“ gelten und die Anmietung dieser Wohnungen vom Jobcenter/Sozialamt abgelehnt werden müssen. Wir fragen die Stadt Wuppertal, für den denn diese Wohnungen gedacht sind, wenn eben nicht für diese Bevölkerungsgruppe. Schließt sich die Stadt Wuppertal nicht der Auffassung an, das Sozialwohnungsmieten grundsätzlich als „angemessen“ im Sinne des SGB II/SGB XII zu gelten haben? 

Vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen

Gunhild Böth                          Gerd-Peter Zielezinski

Fraktionsvorsitzende              Fraktionsvorsitzender